Sehlde/Kreis Wolfenbüttel (epd). Mit einer prüfenden Miene hockt Mark Malinowski vor der Innenwand der kleinen evangelischen Kirche. Seine Augen scheinen in dem schmucklosen Beige-Ton zu lesen. Dann greift der Restaurator zu einem Skalpell und schabt vorsichtig ganze sieben Farbschichten von dem Gemäuer. Darunter offenbaren sich barocke Ornamente, wie sie in Norddeutschland kein zweites Mal vorkommen. "Es ist ein echter Schatz aus der Zeit um 1704", sagt Malinowski. "Aber ihn zu bergen, ist jahrelange Kleinarbeit."
Lange Zeit lagen die Säulenornamente, Engelsgestalten und biblischen Darstellungen verborgen. "Unsere Kirche war eigentlich immer eher unansehnlich", erinnert sich Küsterin Annemarie Reich. Vor einigen Jahren beschloss die Gemeinde daher, den Innenraum mit Farbeimer und Malrolle neu zu gestalten. "Dass dann aber ein Team von Restauratoren statt einiger freiwilliger Helfer hier arbeiten würde, war uns damals nicht klar", sagt Reich mit einem Lachen. "Ganz davon zu schweigen, dass die Kirche nun noch viel schöner wird."
Denkmalschützer begutachteten die Wände des Bauwerkes aus dem Jahr 1702 und stießen bei ihren Sondierungen auf die Ornament-Malerei. Statt dem Neuanstrich zuzustimmen, gaben sie die Empfehlung, die barocke Kunst ganz freizulegen. "Das war dann ein Gefühl zwischen Freude und Furcht, was auf uns zukommt", sagt Kirchenbaurat Helmut Müller von der braunschweigischen Landeskirche. "Solche Baustellen sind kein Tagesgeschäft und sie können schnell sehr teuer werden, das war mir von Anfang an klar."
Für insgesamt 60.000 Euro wurde in einem ersten Bauabschnitt der Altarraum in seine ursprüngliche Pracht zurückverwandelt. "Dabei galt es, auch festzustellen, was eigentlich ursprünglich war", sagt Malinowski. "Beispielsweise fanden wir eine Farbschicht mit brauner Ziegelsteinoptik. Es gab sogar mal einen blauen Sternenhimmel, aber das passte alles nicht zusammen und war stark angegriffen." Nur die älteste Ornamentfarbe sei wirklich gut erhalten gewesen. Von den jüngeren fertigte das Restauratorenteam Fotos an und kratzte sie dann unwiederbringlich von den Wänden - bei einem Verschleiß von bis zu 20 Skalpellklingen täglich.
Nach dem Freilegen folgte die Aufarbeitung. "Dabei kommt es darauf an, dass man hinterher klar erkennen kann, wo noch Originalfarbe haftet und wo wir nachgebessert haben", sagt Restauratorin Regina Malinowski. Mit wasserlöslichen Pigmenten und einem feinen Pinsel tupfte sie über Tage, Wochen und Monate millionenfach kleine Punkte auf das Mauerwerk. "Das zehrt ganz schön. Manchmal träume ich nachts noch von Punkten", sagt sie.
Das Ergebnis der Arbeit könne sich bereits sehen lassen. Nach einem zweiten, rund 70.000 Euro teuren Bauabschnitt soll die Kirche am 2. Oktober wieder eröffnet werden. "Schon jetzt geht jedem das Herz auf, der diesen Raum betritt", freut sich Kirchenbaurat Müller. Nicht einmal die barocke Trinitatiskirche in Wolfenbüttel verfüge über so schöne Malereien wie Sehlde. "Da ist man stolz, Denkmalpfleger von vielen hochkarätigen Gebäuden zu sein. Die Sehlder Kirche ist aber gewiss eine besonders schöne Perle in der Kette", sagt Müller. (Björn Schlüter)